Kennen Sie das? Sie wollen konzentriert an einer Aufgabe arbeiten, aber dauernd bekommen Sie E-Mail-Benachrichtigungen, das Telefon klingelt und Kollegen stehen plötzlich mit dringenden Fragen in der Tür. In der Pause checken Sie Ihre Handy-Nachrichten oder schauen kurz bei Facebook vorbei. Am Ende des Tages sind Sie völlig erledigt und haben das Gefühl, nichts geschafft zu haben. In unserer Online-Reihe „Positionsbestimmungen“ erläuterte der Neurowissenschaftler und Psychiater Prof. Dr. Volker Busch, warum das so ist und wie wir mit Reizüberflutung, Multitasking und digitalem Stress umgehen können.
„Ein durchschnittlicher Mensch mit einer Lebenserwartung von 80 Jahren verbringt in seinem Leben etwa zehn Jahre mit fernsehen, neun Jahre mit seinem Smartphone, sechs Jahre mit surfen im Internet und vier Jahre, um E-Mails zu lesen, zu schreiben und zu löschen“, so Busch. Dies mache vor allem eins: Unsere Köpfe voll. Unser Gehirn verarbeite täglich 30-40 Gigabyte an Informationen. Mehr als jeder Computer der Welt – Tendenz steigend. Diese Informationsflut habe Folgen: Durch das ungeheure Angebot an Informationen und Ablenkungsmöglichkeiten gehe unsere Fähigkeit verloren, uns zu fokussieren. Konzentration werde zur Ausnahme, Ablenkung zur Regel. Für unseren beruflichen Erfolg und das zwischenmenschliche Miteinander sei Fokussierung aber wesentlich. Denn ohne sie könne man weder logisch oder kritisch denken, aufmerksam zuhören oder empathisch anderen Menschen gegenüber sein.
Jede Unterbrechung führe dazu, dass man etwa zehn Minuten braucht, bis man sein vorheriges Konzentrationslevel wieder erreicht hat. Dabei seien wir durchaus in der Lage, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen. Multitasking funktioniere aber nur dann, wenn eine der beiden Aufgaben geistig wenig anspruchsvoll ist, weil dafür im Gehirn zwei unterschiedliche Bereiche zuständig sind. „Ich kann zum Beispiel sehr gut telefonieren und nebenbei spazieren gehen. Aber ich kann nicht telefonieren und gleichzeitig eine E-Mail schreiben, weil dabei dasselbe Gehirnareal aktiv ist“, erklärt Busch. Und weil wir uns immer nur auf eine geistig anspruchsvolle Sache konzentrieren können, müsse unser Gehirn zwischen den Aufgaben hin und her wechseln. Dies nenne man „Task Switch“. „Stellen Sie sich das wie eine Bühne vor, die nur einen Scheinwerfer hat“, erklärt Busch. „Wenn Sie zwei Dinge auf der Bühne haben, kann der Scheinwerfer sein Licht immer nur auf eins richten.“
Menschen, die ständig zwischen mehreren Aufgaben hin- und her switchen, statt kontinuierlich an einer Aufgabe zu arbeiten, benötigten 30 Prozent mehr Zeit und machten 20 Prozent mehr Fehler. Außerdem hätten sie in dem Moment neun IQ-Punkte weniger. Dadurch gehe die geistige Präzision verloren, die Leistung verschlechtere sich und das Stresslevel steige.
Aber was kann man dagegen tun? Buschs Empfehlung: immer nur eine Sache gleichzeitig machen. Lesen – aber ohne Musik oder Fernseher im Hintergrund –, Spielen, Basteln oder auch Handwerken seien ideal. „Es ist nicht entscheidend, was Sie tun, sondern wie Sie es tun“, so Busch. „Der ganze Lichtkegel des Scheinwerfers muss auf diese eine Sache gerichtet sein.“ So lerne man wieder, sich zu konzentrieren.
(Prof. Dr. Volker Busch)
In der Arbeitswelt solle man sich Freiräume – sogenannte „Fokuszeiten“ – schaffen, in denen man konzentriert und ohne Störungen an den wichtigsten Aufgaben des Tages arbeiten könne. „Am Anfang reicht zweimal eine halbe Stunde. Später können Sie auf zweimal eine Stunde erhöhen. Verteidigen Sie diese Zeit mit allen Mitteln“, rät Busch. Studien hätten gezeigt, dass bei Menschen, die eine Stunde Fokuszeit am Tag hatten, deutlich weniger von dem Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wurde. Im Gehirn synchronisiere sich zudem die Kommunikation zwischen den Nervenzellen. Dadurch steige die Leistungsfähigkeit und die gefühlte Arbeitsbelastung nehme ab.
Aber unser Gehirn brauche nicht nur Fokuszeiten, sondern auch „Panoramazeiten", um bestmöglich zu funktionieren. Gemeint sind geistige Auszeiten ohne Smartphone & Co., die wir uns und unserem Gehirn regelmäßig gönnen sollten. Unsere Konzentrationsspanne betrage ungefähr unser Lebensalter mal zwei in Minuten. Das bedeute: Ein Mensch Mitte 40 könne sich maximal eineinhalb Stunden konzentrieren. Danach sei die Luft raus, er benötige eine Pause. Und diese sollte man laut Busch bestmöglich gestalten. Hilfreich seien vor allem drei Tipps aus der Entspannungsforschung:
1. Machen Sie mehrere kurze Pausen von je 10-20 Minuten. Diese seien viel effektiver als nur eine lange Auszeit.
2. Seien Sie wenn möglich körperlich aktiv, z. B. bei einem kleinen Spaziergang.
3. Verbringen Sie die Pause möglichst konsumarm, also ohne weitere Informationsaufnahme durch Smartphone, Zeitung oder Fernsehen.
Auf diese Weise gelinge eine effektive Erholung, da das Gehirn keine neuen Informationen aufnehmen müsse und sich mit dem beschäftigen könne, was schon da ist. Diese Art der Pause kenne man auch als Tagträumen. Für Mensch und Gehirn sei dies Erholung pur. Integriere man diese beiden Dinge – Fokuszeiten und Panoramazeiten – aktiv in seinen (Arbeits-)Alltag, gehe man gesünder, stressfreier und geistig leistungsfähiger durchs Leben.
Liste der Artikel