Bereits seit einigen Jahren verstärkt ChemieNord die bundesweite Ausbildungskampagne „Elementare Vielfalt“ des BAVC mit regionalen Kampagnen, die junge Menschen in Niedersachen, Hamburg und Schleswig-Holstein ansprechen. Die neueste Kampagne ist Ende November gestartet. Sie richtet sich gezielt an Studienaussteiger und möchte sie für eine Ausbildung in der norddeutschen Chemie begeistern. Welches Potenzial in dieser Zielgruppe steckt, weiß auch tesa-Ausbildungsleiter Tobias Kaps. Im Interview erklären er und sein Azubi Steffen Runge, wie Unternehmen Studienabbrecher von sich überzeugen können.
Obwohl in diesem Jahr erfreulich viele junge Menschen eine Ausbildung in der norddeutschen Chemie-Industrie begonnen haben, blieben dennoch mehr als hundert Plätze unbesetzt (mehr zu den aktuellen Ausbildungsplatzzahlen lesen Sie hier). Der demografische Wandel und damit einhergehend auch die schrumpfende Anzahl an Bewerbern sind schon lange auch bei uns spürbar. Umso wichtiger ist es, junge Menschen auf die attraktiven Ausbildungsmöglichkeiten in unserer Branche aufmerksam zu machen. Deshalb unterstützt ChemieNord bereits seit einigen Jahren mit gezielten Kampagnen die Bemühungen seiner Mitgliedsunternehmen bei der Suche nach Auszubildenden.
In der aktuellen Kampagne rücken Studienaussteiger als Zielgruppe in den Fokus. Für sie ist eine Ausbildung in der norddeutschen Chemiebranche oft eine gute Alternative. Weniger Theorie, mehr Praxis und gute Perspektiven für die berufliche Weiterentwicklung. Und auch für Unternehmen ist es vorteilhaft, diese Zielgruppe für eine Ausbildung zu gewinnen. Denn sie bringt neben Erfahrung viele weitere Vorteile mit. Dazu sagt Tobias Kaps, Ausbildungsleiter bei tesa in Hamburg: „Wir stellen fest, dass ehemalige Studenten sehr motiviert sind, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Sie arbeiten eigenständiger und haben nicht so viele Berührungsängste, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Und sie haben weniger Angst, Fehler zu machen, sondern sehen das mehr als Chance, daraus etwas zu lernen.“
Bei tesa setzt man bereits seit einigen Jahren darauf, auch Studienabbrecher für den eigenen Bedarf auszubilden. Laut Kaps sei es dabei besonders wichtig, diese positive Sichtweise auf die Zielgruppe auch den angehenden Azubis zu vermitteln. Steffen Runge hat in diesem Jahr eine Ausbildung als Mechatroniker bei tesa begonnen. Vorher hat er Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Elektrotechnik an der TU Braunschweig studiert. Er sagt: „Ich finde es sehr gut, dass man hier als Studienabbrecher kein negatives Branding hat. Im Gegenteil: Ich kann eigenverantwortlich arbeiten und habe viel Raum, um mich weiterzuentwickeln.“
Warum Steffen Runge sich für eine Ausbildung bei tesa entschieden hat und was für Betriebe im Umgang mit Studienaussteigern während der Ausbildung wichtig ist, lesen Sie unten im Interview.
Um junge Menschen, die über einen Studienabbruch nachdenken, zu erreichen, nutzt die aktuelle Kampagne sowohl Videos bei YouTube und TikTok als auch Text- und Displayanzeigen bei Google, Instagram und LinkedIn. Sie werden gezielt an Studenten ausgespielt und weisen auf die zahlreichen Benefits hin, die mit einer Ausbildung in unserer Branche verbunden und für junge Menschen wichtig sind, u. a.
• attraktive Vergütung ab dem 1. Ausbildungsjahr,
• gute Übernahmechancen und
• viele Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung.
Gern können auch unsere Mitgliedsunternehmen das YouTube-Video für ihr Ausbildungsmarketing nutzen, z. B. indem sie es auf ihrer Karriere-Seite einbinden. Sie finden es unter youtube.com/chemienord.
YouTube Video
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Herr Runge, wie haben Sie gemerkt, dass Ihr Studium nicht das Richtige für Sie ist?
Damals habe ich nebenbei in einer Kletterhalle gearbeitet und war dort auch handwerklich tätig, z. B. habe ich Kletterparcours gebaut oder auch die Elektrik verlegt. Das war ein großer Kontrast zu meinem Studium, das überwiegend aus Theorie bestand. Da habe ich gemerkt: Das ist nicht das, was ich zukünftig machen will, am Schreibtisch sitzen, Telefonkonferenzen etc. Ich will praktisch arbeiten.
Wie sind Sie auf die Ausbildung bei tesa aufmerksam geworden?
Das war über eine Online-Anzeige. Ich habe mir zu dieser Zeit sehr viele Anzeigen angeguckt und nach einem Ausbildungsplatz als Mechatroniker gesucht. Ich hatte ja schon Vorkenntnisse im Bereich Elektrotechnik und der Beruf passt auch zu meinem handwerklichen Interesse.
Was hat Sie überzeugt, Ihre Ausbildung dort zu beginnen?
Den Ausschlag hat die menschliche Komponente gegeben. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen, es herrschte eine angenehme Atmosphäre. Aber vor allem die Tatsache, dass ich nicht in erster Linie als Studienabbrecher wahrgenommen wurde, sondern als einer der Auszubildenden. Positiv ist auch, dass ich nicht der einzige Azubi bin, der schon vorher etwas anderes gemacht hat.
Herr Kaps, Herr Runge ist offensichtlich keine Ausnahme, sondern Sie haben auch weitere Studienabbrecher, die bei Ihnen eine Ausbildung machen.
Das stimmt. Insgesamt haben wir derzeit 38 Auszubildende. Davon sind acht Studienabbrecher. Gerade in den beiden Corona-Jahren gab es viele Studenten, die wegen geschlossener Unis und Fernstudium ernüchtert waren und abgebrochen haben. Die haben sich auf das Campus-Leben gefreut und saßen dann zwei Jahre zu Hause im Keller.
Wir als Betrieb müssen uns den Studienabbrechern anpassen. Wir können sie nicht durch das Schema F laufen lassen. Damit würden wir sie und zukünftige Bewerber verschrecken.
Tobias Kaps, Ausbildungsleiter bei tesa
Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile bei Studienabbrechern als Azubis?
Studienabbrecher bringen viele Vorteile mit: Sie verfügen schon über einige Erfahrung, können gut kommunizieren, trauen sich was zu. Hinzu kommt, dass wir bei tesa für den Eigenbedarf ausbilden. Wenn wir Abiturienten einstellen, geht der Trend dahin, dass sie nach der Ausbildung studieren gehen. Das haben wir bei den Studienabbrechern nicht. Sie suchen eher mit dem Betrieb zusammen nach Möglichkeiten, wie sie sich nebenberuflich weiterentwickeln können, z. B. als Techniker oder Meister.
Herr Runge, was schätzen Sie an der Ausbildung bei tesa?
Ich habe festgestellt, dass sehr viel Wert auf Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gelegt wird. Man lässt mir sehr viel Raum, mich selbst zu entwickeln. Das kommt mir sehr entgegen.
Herr Kaps, unterscheidet sich die Ausbildung von Studienabbrechern von der üblichen Ausbildung?
Im Betrieb müssen wir die Möglichkeit schaffen, Studienabbrecher individuell zu fördern. Immer angepasst an die Vorkenntnisse, die sie mitbringen. Steffen zum Beispiel arbeitet derzeit eigenständig an einem Projekt. Er baut eine Anlage, in der eines unserer Produkte in seine Bestandteile zerlegt wird. So können diese recycelt oder wieder als Rohstoffe verkauft werden. Das könnten wir nicht mit jemanden machen, der Tourismus studiert hat. Das ist hochanspruchsvoll und eigentlich eine Abschlussarbeit für einen Mechatroniker! Aber Steffen kann das schon jetzt nach vier Monaten im Betrieb. Und das liegt nicht nur an seinen Vorkenntnissen und seinem Fachwissen in Elektrotechnik, sondern auch an seiner persönlichen Reife. Man merkt, dass er in der Lage ist, sich fehlende Informationen selbstständig zu besorgen und auch mit Rückschlägen umzugehen. Ein 17-Jähriger wäre damit wahrscheinlich überfordert.
Steffen Runge: Für mich ist die Ausbildung dadurch deutlich interessanter und macht mir sehr viel Spaß. Ich lerne so schneller und habe dadurch einen direkten Praxisbezug.
Herr Runge, haben Sie abschließend noch einen Tipp, wie Unternehmen Studienaussteiger am besten ansprechen können?
Man sollte versuchen, gezielt die Leute aus den entsprechenden Fachbereichen mit seinen Ausbildungsplatzangeboten zu erreichen. Denn die verfügen über eine gewisse Vorerfahrung. Wie in meinem Fall beispielsweise Elektrotechnik. Aber ohne dabei einen Erwartungsdruck aufzubauen. Auch könnte man die allgemeinen Skills, über die Studenten in der Regel verfügen, in den Vordergrund stellen: Selbstständigkeit, Eigenverantwortung, Organisationstalent etc. Man sollte vermitteln, dass solche Leute im Unternehmen gern gesehen sind.
Die Stigmatisierung von Studienabbrechern verstehe ich nicht. Es ist doch gut, wenn man merkt, dass etwas nicht zu einem passt.
Tobias Kaps
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