Dr. Sarah Saeidy-Nory ist seit dem 1. Januar neue Hauptgeschäftsführerin bei ChemieNord. Im Interview spricht sie über die ersten Wochen bei den norddeutschen Chemieverbänden und gibt Einblicke in ihre Pläne für die Arbeit von ChemieNord.
Liebe Frau Dr. Saeidy-Nory, bitte stellen Sie sich kurz vor und erzählen Sie etwas über Ihren bisherigen Werdegang.
Bevor ich zu den norddeutschen Chemieverbänden gekommen bin, habe ich fast 16 Jahre lang beim Arbeitgeberverband HessenChemie gearbeitet, zuletzt als Geschäftsführerin Tarif- und Arbeitsmarktpolitik. Dort habe ich die Tarifabteilung aufgebaut. Anfangs ging es um Tarifpolitik, Tarifrecht und kollektives Arbeitsrecht. So habe ich z. B. viele Jahre lang die Flächentarifverträge der Kunststoff verarbeitenden Industrie zusammen mit dem Verhandlungsführer und der KVI-Tarifkommission weiterentwickelt und modernisiert. Mit der Zeit kamen die Wirtschaftspolitik, die Arbeitswissenschaft, das Satzungs- und schließlich das Mitgliedermanagement dazu. Ein Teil des Mitgliedermanagements war dabei die Mitgliederwerbung. Erfolgreich waren wir hier oft durch sogenannte „Überleitungstarifverträge“, durch die neue tarifgebundene Mitglieder stufenweise an die Flächentarifverträge der chemischen Industrie herangeführt wurden.
Sie engagieren sich auch schon seit vielen Jahren ehrenamtlich?
Bis Ende 2022 war ich als ehrenamtliche Richterin am Hessischen Landesarbeitsgericht tätig, nachdem ich zuvor mehrere Jahre als ehrenamtliche Richterin am Hessischen Arbeitsgericht aktiv war. Ehrenamtliches Engagement ist einer der Grundpfeiler unserer Demokratie und die Aufgabe von „Ehris“ ist es, die Entscheidungen der Arbeitsgerichte praxisnah zu beraten und mitzugestalten. Ich würde mir wünschen, dass es noch mehr ehrenamtliche Richter und Richterinnen aus der Praxis gibt. Fast alle Kollegen und Kolleginnen unserer Rechtsabteilung sind auf jeden Fall ab diesem Sommer bei den Arbeitsgerichten im Norden entsprechend ehrenamtlich tätig.
Auch an der Frankfurter Goethe-Universität habe ich mich über viele Jahre als Tutorin und in Kolloquien im individuellen und kollektiven Arbeitsrecht aktiv eingebracht. Wissenstransfer zwischen Praxis und Lehre war für mich hierbei der entscheidende Gesichtspunkt. Darüber hinaus war ich u. a. Mitglied des Tarifausschusses des Landes Hessen beim Hessischen Ministerium für Soziales und Integration. Dort geht es um die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, was auch eine ordnungspolitische Fragestellung ist.
Wie waren die ersten Wochen bei den norddeutschen Chemieverbänden für Sie?
Ich durfte in den letzten Wochen ein starkes und hoch motiviertes Team kennenlernen, das mich mit offenen Armen empfangen hat und seitdem tatkräftig unterstützt.
Die Zusammenarbeit mit unseren Vorständen und Mitgliedsunternehmen, Sozialpartnern, den Bundes- sowie den Schwesterverbänden ist sehr vertrauensvoll und steht auf einem starken Fundament, das über Jahrzehnte durch meinen Vorgänger Dr. Jochen Wilkens aufgebaut wurde. Da ich abwechselnd an unseren Standorten in Hannover und Hamburg bin, habe ich das große Glück, unsere Mitglieder in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein bereits von Anfang an persönlich kennenlernen zu können. Auch zu den befreundeten Verbänden aus anderen Branchen besteht eine enge Verbindung, die ich sehr gerne auch in Zukunft stärken möchte.
Schließlich haben mir etliche politische Gespräche gezeigt, dass die Chemie als sehr guter Arbeitgeber mit hoch bezahlten Industriearbeitsplätzen und innovativen Produkten mit ihren Anliegen Gehör findet. Diesen Weg müssen wir weiter gemeinsam beschreiten.
Was sind aus Ihrer Sicht die momentan wichtigsten Themen für ChemieNord?
In der aktuellen wirtschafts- und industriepolitischen Lage können und müssen die Tarifvertragsparteien durch moderne Tarifarbeit zur Stabilisierung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Mitgliedsunternehmen beitragen. Deshalb steht für mich eine innovative und anwenderfreundliche Tarifpolitik, die notwendige Flexibilisierungen zulässt, ganz oben auf der Tagesordnung. Ich bin überzeugt davon, dass wir nur so neue tarifgebundene Mitglieder gewinnen können. Dies ist die Voraussetzung für die Stärkung der Tarifbindung, die im letzten Chemietarifabschluss als ein gemeinsames Ziel vereinbart wurde. Tarifbindung ist in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel im Übrigen ein starkes Argument für die Gewinnung neuer Beschäftigter. Um tarifliche Maßanfertigungen gestalten zu können, ist für mich eine funktionierende und starke Sozialpartnerschaft, die von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist, unerlässlich. Denn nur gemeinsam können wir die richtigen Rahmenbedingungen für beide Seiten vereinbaren. Deshalb gilt es, auch in Zukunft die betriebliche und tarifliche Sozialpartnerschaft zu stärken und auszubauen.
Was begeistert Sie an der Verbandsarbeit?
Wir kämpfen jeden Tag dafür, dass unsere Mitgliedsunternehmen wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen vorfinden. Dafür gestalten wir die Tarif-, Wirtschafts- und Industriepolitik durch die Norddeutschen Chemieverbände aktiv mit. Diesen von der Verfassung den Verbänden zugedachten Gestaltungsspielraum verantwortungsvoll und zukunftsorientiert zu nutzen, inspiriert und begeistert mich genauso, wie unser großes und starkes Netzwerk in der Verbändewelt.
Ganz besonders faszinieren mich aber unsere Mitgliedsunternehmen. Mit ihren innovativen und vielfältigen Produkten können wir Herausforderungen wie den Klimawandel meistern. Und das von vielen Unternehmen aufgebrachte ehrenamtliche Engagement in den unterschiedlichen Bereichen unserer Verbandsarbeit sorgt für eine stetige Weiterentwicklung unserer Arbeit und eine breite Akzeptanz aufgrund von gemeinsam erarbeiteten Lösungen.
Darüber hinaus sind für mich die Themen Tarifautonomie und Flächentarifverträge schon sehr lange eine Herzensangelegenheit. Schließlich ist die in der Chemie gelebte Sozialpartnerschaft für mich die beste Form der Zusammenarbeit zwischen Tarifvertragsparteien. Diese gilt es zu erhalten und zu stärken – sie ist ein Wert an sich!
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